Bewohnerin von ProCurand in Halle erzählt aus ihrem Leben© ProCurand
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Persönlichkeiten bei ProCurand: Gertraud Stahl widmete sich der Landwirtschaft - und hat viel erreicht

Das wöchentliche Erzählcafé in unserer Seniorenresidenz in Halle ist ein beliebter Treff für alle, die etwas zu erzählen haben. In kleiner Runde berichten Senioren aus ihrem Leben, das oftmals alles anderes als geradlinig verlaufen ist. Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung sind natürlich die größten Einflüsse, die dabei zum Tragen kommen. Das ehrenamtlich geleitete Erzählcafé kann aus persönlichen Gründen derzeit leider nicht stattfinden.

Die Bewohnerin Gertraud Stahl erzählte sehr offen von ihrem sehr geschäftigen Lebensweg. 

„Ich bin Jahrgang 1927 und ich bin nie wirklich weg gewesen: In Gottenz geboren, in Osmünde aufgewachsen, nach Gröbers geheiratet... Danach bin ich dann wieder zurück nach Osmünde gezogen, wo mein Mann und ich ein Haus bauten. In dem habe ich bis vor zwei Jahren gewohnt, also eine ganz schöne Weile! Nun bin ich hier und treffe tatsächlich einige Frauen aus meiner Jugend wieder. Hier auf den Dörfern kannten wir uns ja alle.

In der Kriegszeit hatten wir keine Musik, keinen Tanz, aber zumindest hatten wir das Kino. Dann sind wir eben ins Kino gegangen. Da kamen dann die einen zu uns oder wir wanderten mit einem Lied auf den Lippen in den Nachbarort – je nachdem, wo gerade ein Film angeboten wurde. Das war auf dem Dorf so. Vom Krieg haben wir da nicht viel mitbekommen. Natürlich veränderte er alles: Zum Beispiel waren wir Jugendlichen in der Mehrzahl, die Väter waren im Krieg, viele sind gefallen. So bestimmte plötzlich die Jugend das Bild im Dorf. Mein Mann, damals schon mein Freund, wurde nach Südfrankreich eingezogen und kam in Kriegsgefangenschaft. In Marseille musste er für die Amerikaner arbeiten. Er sagte: „Das war keine Gefangenschaft.“ Glück gehabt. Glück hatten wir, Glück habe ich bis heute. Heute zwickt mich mein Arm, ich kann ihn nicht heben, aber – es geht vorbei. Es geht mir doch vergleichsweise gut!

Mein Mann und ich haben 1948 geheiratet. 1950 wurde unser Sohn geboren, der heute Ortsbürgermeister von Gröbers ist. Gelernt habe ich Verkäuferin beim Gemeinschaftswerk, dem Vorgänger vom „Konsum“. Aber irgendwann wollte mein Mann unbedingt selbst Schweine schlachten, weil ihm die gekaufte Wurst nicht schmeckte. Wir mussten sehen, wie wir das anstellen. Ich habe mich dann bei der LPG beworben. Da lernte ich auch alles und wir bekamen die Marken, die man fürs Schlachten brauchte - das habe ich dann auch gemacht. 1960 war das.

Und ich habe mich immer für Kollegen eingesetzt. Naja, ich bin nicht auf den Mund gefallen. So kam es wohl, dass ich schon ein halbes Jahr später im Vorstand der LPG saß. Ich war für die Belange der Frauen zuständig. Das habe ich 30 Jahre gemacht! Bis zur Auflösung der LPG, auch noch aus der Rente heraus. Zuerst sprach ich für 28 Frauen und später gab es dazu noch den Frauenausschuss für den großen Bezirk. Die Frauenthemen waren und sind mir persönlich sehr wichtig.

1964 hatte ich einen schweren Unfall, ich war vom Strohhänger gefallen und habe mir beide Fersenbeine gebrochen. Acht Monate musste ich im Bett verbringen. Ich konnte die schwere Arbeit dann nicht mehr machen. Später kam man auf mich zu - das war schon 1971 - und sagte, man bräuchte einen Agraringenieur. Ob ich das nicht machen würde? So wurde ich in vier Jahren Studium Agraringenieurin. Ohne Hilfe meiner Mutter wäre das nicht gegangen. In der Früh habe ich meine Abteilung in Arbeit gebracht, und anschließend bin ich in die Schule und am Nachmittag wieder für die Kontrolle aufs Feld gegangen. Am Abend musste ich dann ab und zu auch noch Abrechnungen erledigen. Auf die Uhr habe ich in diesen Jahren nicht geschaut, das können Sie mir glauben. Ich habe es aber nie bereut, diesen Schritt gegangen zu sein. Und wir hatten immer Schweine, Kaninchen und Hühner zu Hause, die wir jedes Jahr geschlachtet haben. Ich bin nie wirklich weg aus der Gegend gewesen, aber durch die Arbeit in der LPG habe ich die (damalige) Welt sehen dürfen: Aserbaidschan, Moskau, Ungarn. Das waren Auszeichnungen vom Betrieb. Eine schöne Zeit!

Unsere gemeinsame Jugend spielt in der Residenz hier im Alltag keine Rolle. Meinen Bekannten bringe ich nur immer die neuesten Neuigkeiten aus unserem Heimatort mit, wenn ich dienstags zum AWO-Rentnertreff nach Hause fahre, oder wenn mein Sohn das Amtsblatt mitbringt. Die Vergangenheit lebt aber im 'Erzählcafé' auf. Ich denke, man achtet sich gegenseitig mehr, wenn man mehr voneinander weiß. Man schätzt manchen Menschen ja auch ganz anders ein, wenn man hört, was er durchgemacht hat. Ich finde das wunderschön und bereichernd. In Gesellschaft lebt es sich einfach besser!“